Die Sicht der Anderen aus anderer Sicht
Die gemeinsame Skulptureninstallation der Künstlerinnen Geneviève Seydoux und Antje Stehn, setzt sich mit dem Themenkreis Krieg - Gewalt - Empathie und Hoffnung auseinander. Zu dem Projekt wurden zwanzig Lyriker.innen aus verschiedensten Lӓndern der Welt eingeladen, mit ihren Gedichten teilzunehmen. Das Video-Loop bietet dem Publikum die Möglichkeit, diese Gedichte in den verschiedenen Muttersprachen zu hören, ein Sprachengemisch, das an den Turmbau von Babel erinnert: Arabisch, Hebräisch, Persich, Vietnamesisch, Türkisch, Spanisch und verschiedene Indische Sprachen stellen in diesem Projekt den Turm allerdings auf den Kopf: Das Sprachengemisch trennt nicht, sondern vereint alle unter dem großen Bedürfnis, Kunst, Poesie, die Sehnsucht nach Frieden und Engagement international zu teilen.
Im Video lesen:
1 George Wallace, USA
2 Genevieve Zongolo, Süd Afrika
3 Đặng Thân, Vietnam
4 Lucilla Trapazzo, Schweiz
5 Gili Haimovich, Israel
6 Angelo Gaccione, Italien
7 Nahid Ensafpour, Iran-Deutschland
8 Tamer Öncül , ZYpern
9 K Srilata Indiien
10 C.C. Arshagra, USA
11 Sabrina De Canio, Italien
12 Ekaterina Grigorova , Bulgerien
13 Gino Leineweber, Deutschland
14 Laura Cantelmo, Italien
15 Jawdat George Eid, Palӓstina- Israel
16 Pankhuri Sinha, Indien
17 Giancarlo Sammito, Italien
18 Reha Yünlüel, Türkei
19 Salem Khafani, Iran-Deutschland
20 Betty Gilmore, USA
21 Arthur Zimmerman, Schweiz
22 Simona Albano, Italien
23 Andrea Grieder, Schweiz
George Wallace, USA
FRIEDEN IST HONIG
Frieden ist nicht die Abwesenheit von Krieg.
Er ist süße Milch in einem sauberen Eimer.
Er ist das Blöken von Ziegen in einem anständigen
Hof voller Menschen. Frieden ist das Schnattern von Gänsen
im Teich, das Zirpen der Zikaden im hohen Gras.
Frieden sind Olivenpressen, Weinpressen,
Erntearbeiter, die nach mehr Obst verlangen,
auf den Ausläufern im Unteren Galiläa.
Mehr als die Stille der Morgendämmerung ohne Raketen
die sie stören, Frieden ist Hähnekrähen,
Hennenglucken - Pflugscharen, Schaufeln und
Holzrechen und das Scheppern der Hacken
hinten auf einem Pickup. Er ist das Summen der Erntemaschinen,
die das harmonische Land durchkämmen -
von Horizont zu Horizont, alle
Kinder Frauen ernähren und Menschen
ohne Vorurteile, die allen Leuten
im Land Vollzeitarbeit geben.
Frieden sind palästinensische Jungen
in den Bienenhäusern von Doura,
westlich von Hebron, die
die Bienenstöcke ihres Vaters pflegen. Er ist
eine Wolke Honigbienen
die über den Dächern des Kibbuz
Ayelet Hashahar schwärmen
Frieden ist nicht nur das Fehlen von
Kleinwaffenfeuer,
oder Zeremonien mit Vertragsunterzeichnung
in weit entfernten Hauptstädten.
Es ist mehr als nur
das jemand etwas bekommt,
und jemand etwas verliert,
und beide Seiten
zustimmen es so akzeptieren.
Frieden ist mehr als
die Abwesenheit des Krieges.
Frieden sind wilde Enten, die im Jordan planschen.
Frieden ist das gemeinsame Lachen der Arbeiter auf den Feldern.
Frieden ist Honig und Milch im Land der Milch und des Honigs.
ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
George Wallace, USA, ist Schriftsteller in der Residence Walt Whitman Birthplace, er ist der erste poet laureate von Suffolk County, LI NY, Author von 40 Büchern und Lyrikheften, die in der USA, UK, Italien, Mazedonien und Indien veröffentlicht wurden. Er ist Lyrikperformer, es wurden fünf Alben seiner Arbeiten herausgegeben.
Genevieve Zongolo, Süd-Afrika
Die täglichen Schlagzeilen
Im Namen der Freude,
der Nachsicht und dem Ausleben unserer Jugend,
verstellen wir unseren moralischen Kompass.
Ausschweifungen flammen die Arme hoch,
ganz zu schweigen von den umherschweifenden Köpfen voller Hass und Wut, die sich hastig, wie Schlangen bewegen.
Die Männer scannen die weiblichen Formen, als würde sie in einem Katalog durchblättern,
auf der Suche nach derjenigen, die brutal zu verschlingen und auf dem Altar der Verderbtheit zu opfern ist.
Der weibliche Körper wird ausgesaugt und leblos zurückgelassen, hohl wie ein Knochen.
Die einzige gebotene Gnade:
ein zertrümmerter oder abgetrennter Kopf wie ein Betonblock,
ein abgetrenntes, zerrissenes oder verstopftes Genital, oder
verbrannt werden zu einem Haufen Asche.
Sag mir, wer möchte ein Leben in einem ausgehöhlten Körper führen?
Am nächsten Tag werden wir davon hören;
wie sie leblos und nackt aufgefunden wurde,
ein zerschmetterter Kopf, ein zersplittertes Becken,
abgetrennte und fehlende Genitalien.
Und der Übeltäter ist wie Nebel vor der Sonne verschwunden.
Das sind die täglichen Schlagzeilen.
ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
Genevieve Zongolo ist eine südafrikanischer Lyrikerin, Performerin, die in Englisch, IsiXhosa und Afrikaans schreibt. Ihre Gedichte sind in der Back to School Kaapstad Anthologie, 2020, der CYPHER Lyriksammlung und der Imbewu Yesini Poesie Sammlung veröffentlicht, sowie in der demnӓchst erscheinenden afrikanischen Anthologie The Achoe of my Dreams.
Đặng Thân, Vietnam
Jahrzehnte harter Zeiten
„Boom Boom“ war das Geräusch tausender Bomben zur Zeit meiner Geburt
„Screech screech“ waren die Schlaflieder zahlreicher Raketen, in deren Gezwitscher ich gefangen war
Stampfende Geräusche wurden von marschierenden Leichen erzeugt, die durch den Geist des Krieges wieder zum Leben erweckt wurden
Verherrlichte Medaillen sah man auf der Brust der Uniformen die aussahen wie welkes Gras
Diese Sätze spontaner Verse sind gerade zwischen zwei Polen entstanden: Vietnam und Amerika
Der Zwischenraum war mit Blut durchtränkt und befleckt noch immer
Bäume
Reisfelder und sogar die Träume
Auf den Booten voller Flüchtlinge, die in tiefem Schmerz aus ihrer Heimat flohen
Eine Wunde, die nicht heilt und die halbe Welt schmerzt
der stürmische Teil eines Jahrhunderts
bildet an El Niño-Tagen immer noch Blutflecken im Pazifik
und im Indischen Ozean bei einem Tsunami
Zurückbleiben dumme Seelen, Groll und haufenweise gemeine Gier
während sich der Smog von Agent Orange mit dem azurblauen Rauch vermischt, der am späten Nachmittag aus den Küchen aufsteigt
Schräge Figuren in der Region Giao Chỉ, Halb-Việt Cộng und Halb-Việt Kiều riskieren ihr Leben
wenn sie auf faulige historische Brücken treten
Auf verrotteten Stoppeln wachsen immer wieder Reissämlinge heran
man sieht immer noch Geister, die singen und gefüttert werden
und wir selbst sterben jeden Tag, um zu leben
Đặng Thân – Vietnam, ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
Đặng Thân, Vietnam. Seine Bücher sind in zwölf verschiedene Sprachen übersetzt und ihm wurden viele internationale Preise verliehen.
Lucilla Trapazzo, Schweiz
Irgendwo an den Grenzen des Reiches
verflechten sich wieder zerlumpte dissonante Fetzen
profane Trajektorien Kurven, die das Rot der Mohnblumen Zerreißen
während der strahlende Traum
einer einzigen Erde über die geschlossenen Tore stolpert
Europa brennt auf den Balkonen brennt
gegen die Wände geschleudert - an den Netzen Leben
Kleidung und Felsen hängen zum Trocknen
und dieses ewige Kommen und Gehen
von Zischen, von Schrecken, von Qualen
Erbarmen!
Ich stecke den Morgen in den Rucksack
im Schweigen verlieren wir die Menschen
ihre Namen schreien im Gras
jeder ein Sohn einer Waise
Aber hier ist noch immer
dieses Zuhause aus dem Flug eines Vogels - Frühling
ohne Sprachen ohne Grenzen
und wie blau ist noch immer der Himmel
Wir tragen alle einen Stein auf dem ersten Wirbel
Lucilla Trapazzo, Schweiz
Lucilla Trapazzo, Schweizer Dichterin, Übersetzerin, Künstlerin und Performerin. Ihre in 18 Sprachen übersetzten Gedichte wurden mehrfach ausgezeichnet. Sie ist regelmäßiger Gast bei internationalen Poesiefestivals, darunter Struga Poetry Evening 2021 (Nordmazedonien), Princeton Festival, 2021, 2024 (USA), Babylon Festival of Arts 2022, 2024 (Irak), Kistrech Poetry Festival, 2023 (Kenia).
Gili Haimovich, Israel
Wir fahren durch Givatayim
Verbannte angeblich aus eigenem Willen
in einer Stadt, die sich für uns entschieden hat
mehr als wir uns für sie.
Wir gingen hin und her, suchten Antworten und quälten uns, schon bereit
die Wirbelsӓule in den Hügeln von Givatayim
vom Knorpel her auseinanderzuschrauben.
Ihre Bäume können sie nicht erhöhen,
eher zusammenschrumpfen lassen, mit ihren Gehwegen, ihrer Hülle,
und sogar tief im Inneren,
ihr Herz,
eingewickelt in den grauen Zeitungsball, das Durcheinander
das man nicht mehr loswerden kann
weil der Nahe Osten eine riesige Mülltonne ist
voller Konflikte,
dessen Inneres mit dem Inhalt kämpft,
und aus dem du bald gegossen wirst,
nicht wie die Flüsse, die ins Meer münden,
nein, bald wirst du entlassen
in die Jauchegrube
des Mundes
von einem der Männer, die dich dort abgetrennt haben.
* Givatayim ist eine Stadt in einem Vorort von Tel Aviv, deren Name „zwei Hügel“ bedeutet.
* Das Wort „Jauchegrube“ ist eine Übersetzung von „giora“, dem arabischen Slangwort für „Abwasserkanal“.
Gili Haimovich, Israel, ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
© Erstveröffentlichung im Washington Square Review
Gili Haimovich ist eine preisgekrönte israelisch-kanadische Dichterin, die sowohl auf Hebräisch als auch auf Englisch schreibt, für ihre Gedichte erhielt sie in Israel, Italien und Hongkong Preise und Stipendien. Sie sind in 34 Sprachen übersetzt. Sie veröffentlichte drei Bücher auf Englisch und sieben auf Hebräisch sowie das mehrsprachige Buch Note.
Angelo Gaccione, Italien
Nicht schießen, Feuer einstellen
um die Toten einzusammeln
Die Blutbecher sind voll.
Hört auf, rettet wenigstens die Überreste
vor der rasenden Wut
eurer tierischen Instinkte…
Reicht es euch immer noch nicht?
Bald wird die Sonne schlafen
zwischen den klaren Wellen des Ozeans.
Stört diese Stille nicht;
Lasst die Einsamkeit eurer Herzen
euch zum Nachdenken bringen,
Zweifel sollen eure Gehirne durchbohren.
Der Feind gibt hinter eurem Rücken die Befehle.
ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
Angelo Gaccione, italienischer Autor von rund vierzig Büchern (Essays, Kurzgeschichten, Fabeln, Aphorismen, Theaterstücke); zu seinen jüngsten Gedichtbänden gehören Lingua mater (2018) und Spore (2020). Für sein Engagement wurde er mit dem Premio alla Virtù Civica ausgezeichnet. seit 21 Jahren leitet er die Kulturzeitschrift "Odissea".
Non sparate, cessate il fuoco
per raccogliere i morti
le coppe di sangue sono ormai colme.
Fermatevi, lasciate che almeno i resti
siano sottratti alla furia malvagia
dei vostri istinti di bestie…
Non vi basta ancora?
Fra poco il sole dormirà
tra le onde limpide dell’oceano.
Non turbate questo silenzio;
la solitudine del cuore vi faccia riflettere,
un dubbio martelli i vostri cervelli.
Il nemico dà ordini alle vostre spalle.
Nahid Ensafpour, Iran-Deutschland
Der graue Horizont unserer Angst
Der graue Horizont unserer Angst
Das stille Verrinnen der Zeit
Erinnern uns stets
An ferngesteuerte Kriege
Lausche, höre, fühle
Aus der Ferne
Den Schmerz und das Elend
Der Leidtragenden
Die verbrannte Erde schreit:
Rettet mich und meine Kinder
Welt wie kannst du weiterexistieren
Wenn du blind zusiehst und
Zeugin wirst der Ausmerzung deines Selbst
Heulend bieten die Sterne
Ihre heilsamen Hände an und empfangen
Den Staub der Erdenkinder
Es beginnt abermals
ein neues Leben
Nahid Ensafpour, ist eine iranisch-deutsche Schriftstellerin, Dichterin und Übersetzerin, geboren in Teheran. Seit 1985 lebt sie in Deutschland. Sie ist Mitglied der World Writers' Association "Licio Poetico de Benidorm und bei der Schillervereinigung Leipzig, der Hainburger Schriftstellervereinigung Österreich und dem PEN Club Österreich.
Tamer Öncül , Zypern
SCHLANGEN
Was ist meine Gehässigkeit
verglichen mit dem Gift
das durch dein Gehirn fließt?
Sieh, wie deine Zunge hervorsticht, aufgerichtet
mit vergifteten Worten;
gewandter als ich,
gleitest du durch vergiftete Gedanken.
All dieses Winden
wird deinen Rücken nicht brechen!
Du kriechst durch deine Lebenszeit
ihr unterworfen
und kannst nicht dagegen rebellieren …
Vergib uns, verfluchte Medusa,
aus deinem Blut sind wir geboren;
auf der Flucht vor denen,
die das Paradies erschöpft haben
wir sollten uns nicht
in deinem Schlangenhaar verstecken …
ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
Tamara Öncül wurde in Zypern geboren. Er ist einer der Herausgeber von İnsan Zaman Mekan und Şiirden. Seine Gedichte wurden in siebzehn Sprachen übersetzt und sind in internationalen Zeitschriften und Anthologien erschienen.
K Srilata Indiien
Das Gaza-Splitter-Gesicht: Ein gefundenes Gedicht *
Nur noch zwei Krankenhäuser in Khan Younis
Stündlich ein Bombenhagel
20.000 Vertriebene im Krankenhaus,1 Badezimmer 200 Menschen
alles ist behelfsmäßig, die draußen schlafen auf dem Boden.
Bei jeder Bombe dauert es etwa 15 Minuten, bis die Massen der Verletzen kommen.
Eine Mutter kommt herein und hält ihren mageren 8- oder 9-jährigen Jungen im Arm.
Er ist tot. Kalt und tot. Und sie schreit: "Jemand muss seinen Puls überprüfen!"
Alle sind mit dem Massenchaos beschäftigt.
Wer Opfer einer Explosion war und verletzt hereinkommt,
hat garantiert Angehörige verloren. Garantiert.
Ganze Generationen werden ermordet, ein Gemetzel
2.000 Familien ausgelöscht
das bloße Überleben ist Widerstand.
Bei einer Explosion, bedeckt man nicht sein Gesicht.
man öffnet sogar die Augen. Und dann sind überall die Splitter zu sehen.
Bei einer Schusswunde ist es ein sauberes Rein und Raus. Eintritt und Austritt.
Nicht so bei Splittern. Sie sind chaotisch und bleiben. Splitter sind hasserfüllt.
Kinder mit zerschossenen Augen werden blind.
"Das Splittergesicht aus Gaza"
Splitter bleiben, merk dir das! Ihr müsst sie rausholen.
Schluss mit den Splittern, Schluss mit dem Hass, Schluss mit unserer kollektiven Blindheit!
Wo ist der Ausweg?
*Nach einem Interview von Jeremy Scahill mit Yasser Khan, einem Augenchirurgen aus Toronto auf einer zehntägigen medizinischen Mission in Gaza. Khan prägte den Ausdruck „Gazas Splittergesicht“, um die durch Granatsplitter verursachten Gesichtsverletzungen zu beschreiben. Viele der in diesem Gedicht verwendeten Sätze und Zeilen sind von Yasser Khan entlehnt.
ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
K Srilata, ehemalige Writer-in-Residence an der University of Stirling, Schottland, hat ihre jüngste Gedichtsammlung Three Women in a Single-Room House bei der Sahitya Akademi in Indien veröffentlicht. Srilatas Gedichte wurden in zahlreichen Anthologien veröffentlicht.
C.C. Arshagra, USA
Es war wirklich Krieg
Das Jetzt beginnt mit dem Wunder einer Konstante
wo Angst und der Tod unsere Lebensgrundlage nicht berühren
Jeder Moment bewegt sich hin zur Transzendenz der Zeit
Pass auf „es ist noch Krieg“, und er wird deinen nächsten Gedanken beherrschen
Dennoch wirst du zu einem vollkommenen Wesen des Friedens in dir selbst
Unsichtbares Lachen verwandelt nun die Stille in Schönheit
Das Geräusch deines Atems; ein ruhiges Lied über dem Getöse des Krieges
Du erreichst eine dir gehörende Lichtung
und die Angst vor dem Tod verschwindet; du wirst umarmt
Du bist jedes einzelne Molekül, das durch das Zusammenleben von Licht und Dunkelheit geliebt wird
Du saugst die Wunden unschuldiger Personen auf
jedes Kriegsverbrechen wird von dir vor Gericht gestellt
gerade als der letzte Krieg in dir beginnt
gerade als die Polaritӓt Besitz von dir ergreifen will
NEIN! Du hast die Wahl, und der Hass mit seinem ewigen Hunger kann dich nicht erreichen
Die Sucht aller Götter nach dem Bösen stirbt
wenn das Böse seine erste Träne vergießt, während es auf das Schwert des Überlebens fällt
Die Spaltung der Liebe nimmt ihren letzten Atemzug
Krieg der Seele, lass los
Es war die dritte Dimension der Wirklichkeit
C.C. Arschagra, USA, ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
C.C. Arshagra, USA, ist ein international anerkannter Dichter, Schöpfer von Medienkonzepten, Verleger, Singer/Songwriter und Produzent. Sein letztes Buch: „Das offene Mikrofon/ Menschenrechte, freie Meinungsäußerung und das Wort.“ Er ist Gründer von An International Hybrid Poetry Event und TheHumanRoomOpenVoice.
Sabrina De Canio, Italien
Die Kinder aus Gaza
Ein rostiges Netz
zersplittert das Blau
in kleine rautenförmige Stücke.
Eine Puppe
schwingt ihre Beine
seit Stunden über den Trümmern.
Kinder
wie Klatschmohn
in einem Glas.
Ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
Sabrina De Canio, Lyrikerin, Übersetzerin, Co-Direktorin des Piccolo Museo della Poesia Chiesa di San Cristoforo in Piacenza und Direktorin des internationalen Bereichs des Museums, des einzigen Museums für Poesie weltweit. Sie ist auch Gründungsmitglied der italienischen Biennale der Poesie unter den Künsten. Jüngste Veröffentlichungen: "Libera nos a malo", zweisprachige Sammlung in serbisch-kroatischer und italienischer Sprache, Besjeda Editions, 2020; "In inima tacerii/Nel cuore del silenzio", zweisprachige Sammlung in rumänischer und italienischer Sprache, Cosmopoli Editions, 2023. Dieses Jahr: "Respect, Marco Nereo Rotelli und 150 Dichterinnen gegen Gewalt an Frauen", Effigi-Verlag.
Ekaterina Grigorova , Bulgerien
FRAUENFRAGEN
Wenn wir am Rande der Zerstörung stehen,
ist es dann zu spät zum Reden?
Wenn die Zeit knapp ist,
ist es dann amüsant, noch verliebt zu sein,
das heißt, nicht zu hassen, bis wann?
Ist es unverschämt, zu wollen
dass unsere Arme sich umarmen,
dass unsere Lippen sich küssen?
Ist es unschicklich, in Frieden sterben zu wollen,
das Album umblättern von diesem Garten hier
zum jenseitigen?
Und unsere bedingungslose Liebe weiterzugeben
an unsere Kinder, die jetzt
mit großer Qual Waffen tragen oder nicht,
die wir mit groβen Schmerzen geboren haben,
mit unmenschlichen Absichten -
mit blutigen Schenkeln;
von der Schwerkraft zerquetscht,
alle zwei oder drei Minuten beschossen
durch das Kanonenfeuer der Wehen?
Ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
Ekaterina Grigorova, Dichterin und Autorin zahlreicher Gedicht-veröffentlichungen, Preisträgerin des Binyo Ivanov National Award im Jahr 2014. Ihre Gedichte wurden ins Englische, Italienische, Hindi, Griechische und andere Sprachen übersetzt.
Gino Leineweber, Deutschland
STARI MOST
Im Angesicht der Moschee
Erhaben zum Himmel
Vom Minarett zum Bogen
Spiegelt sich Stari Most
Auf türkisfarbenem Wasser
Der Neretva
Im Angesicht der Moschee
Zittert weißes Linnen
In Stunden der Furcht
Sichern Reifen gegen Kanonen
Die endlos feuern
Auf epochalen Glanz
Im Angesicht der Moschee
Zersplittert ein Symbol
Seine Scherben
Spiegeln das Leid
Auf den tiefen Wassern
Der Neretva
* Das Wahrzeichen Mostars, der größten Stadt der Herzegowina, Stari Most (Alte Brücke), Mitte des 16. Jh. vom osmanischen Architekten Mimar Hajrudin erbaut, wurde während des Bosnischen Bürgerkriegs am 9. November 1993 durch massiven Beschuss von kroatischer Seite zerstört.
Gino Leineweber, Lyriker, Schriftsteller und seit 1998 als Übersetzer.Er lebt in Hamburg und in Vietri sul Mare, Italien. Er hat Reisebücher , Biografien und Gedichtsbӓnde veröffentlicht SeineGedichte sind in verschiedene Sprachen übersetzt und haben internazionale Preise gewonnen. Er schreibt auf Deutsch und amerikanischen Englisch.
Laura Cantelmo, Italien
Wir brauchen Erbarmen
keine Spur von Frieden auf Erden
das Herz kann die Sirenen nicht mehr ertragen
im Schatten, der Frieden reduziert
zu armen Trompetenstößen. Angesichts
unserer Knechtschaft unter demokratischer Macht
wo die Armen hoffnungslos auf den Straßen umherirren
werden eines Tages die Schulen öffnen, um zu erzählen
von den Eingeweiden, die den Unschuldigen gestohlen wurden.
In der Zwischenzeit wird es leckere Gerichte geben
und Trankopfer, gewürzt mit Opium und Neutronen.
Wir werden die Türen zu den traurigen Wintern schließen
um die Welt von den Feldern des Todes aus neu zu erschaffen
von den Krankenhäusern aus, wo zwischen krummen Kerzen
Amputierte schreien und Neugeborene verhungern.
Um einen neuen Frühling zu entfachen und
die Messer zu begraben brauchen wir Erbarmen, wenn es das noch gibt.
Nur dann können wir zum Meer hinuntergehen und
alte Gesänge zum Rhythmus neuer Refrains singen.
Ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
Laura Cantelmo, Italien, mehrfach ausgezeichnete Essayistin und Dichterin, arbeitet für den Kulturvereins Milanocosa in Mailand, der künstlerischer Initiativen fördert.
Jawdat George Eid, Palӓstina- Israel
Menschen
Mein Kind...
Früher gab es hier Gassen und Gässchen
Wasserfontänen und Bäume
Es gab Häuser und Träume
Junge Männer, junge Frauen und Gedichte.
Es gab Menschen, Höfe und Plätze.
Mondlicht tanzte auf dem Gras
auf der Brust des Wassers.
Sonnensträhnen spielten in Tempelhöfen
In den Bahnen der Zeit
Es gab Menschen, mein Kind...
Es gab Menschen auf allen Feldern
Auf den Spielplätzen in den Betten
Im Becken der Minze und des Marienbrotes*
In den Pflaumenpfaden
Hier ist eine Kette aus Jasmin
Aus dem Garten unseres Hauses
Nimm sie und tanze auf den Straßen der Träume...
Und erinnere dich, mein Kind, erinnere dich
An alle Menschen.
Ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
* Die Palästinenser bezeichnen weiβe Veilchen als "Marias Brot ", in Anspielung auf Maria, die sowohl von Christen als auch von Muslimen verehrt wird. Für Nazareth, wo der Dichter herkommt, hat dies eine besondere Bedeutung, denn sie gilt als die Stadt Marias.
Das Gedicht stammt aus der Antologie “Under Our Ruptured Sky” Dichter israelischer, palästinensischer, jüdischer, arabischer und muslimischer Herkunft sowie aus den Nachbarländern als Reaktion auf das Massaker vom 7. Oktober in Israel und den Krieg in Gaza, herausgegeben von Gili Haimovich und Pablo Poblète, Unité editions.
Jawdat George Eid, Schriftsteller und Dichter aus Nazareth. Er hat zahlreiche Kinderbücher sowie Sammlungen von Kurzgeschichten, Gedichten und Prosa veröffentlicht. Er hat zahlreiche Preise und Stipendien in den Bereichen Literatur, Sozialarbeit und Bildung gewonnen.
Pankhuri Sinha, Indien
Das goldene Lied
Das lange, melodische
goldene Lied
geht direkt ins Herz hinein
breitet sich auf den Feldern aus
im gleichmäßigen und symmetrischen Anbau
erreicht es liebevoll die Höhe unserer Knie
vielleicht ist es schöner
als alle goldene Kuppeln auf den Gebäuden, oder jede Fassade!
Es berührt den Horizont mit einer großartigen Geste
das Weizenfeld
kein einziger Stiel
höher oder niedriger
es summt, nickt und bewegt sanft den Kopf
Der Wind erzeugt Wellen und Wellen
Jedes Mal wird es zum Spiel!
Diese süße, friedliche Melodie
mit Drehungen und Wendungen auf dem Weg
und mit einem klar gekennzeichneten Rand
sie wartet auf uns! Kommt Freunde
lasst uns dieses goldene Lied singen
auch in den goldhaarigen Maisfeldern!
ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
Pankhuri Sinha ist eine zweisprachige Dichterin und Geschichtenerzählerin aus Indien, der seit 14 Jahren in Nordamerika lebt und zwei Gedichtbände auf Englisch veröffentlichte, zwei auf Hindi und fünf auf Hindi veröffentlichte. Sie hat zahlreiche renommierte nationale und internationale Auszeichnungen gewonnen und wurde in über 22 Sprachen übersetzt. In ihren Schriften dominieren Themen wie Exil und Einwanderung, Geschlechtergleichstellung und Umweltthemen.
Giancarlo Sammito, Italien
METEROLOGISCHE VORAHNUNGEN
Die üblichen Gerölllawinen
die gewohnten Erdrutsche
der Körper eines zehnjährigen Kindes
wird im Schlamm geborgen
zwischen abgerissenen Kabeln
geschwollene Kissen, Kot
blaurotes Wasser, nichts Besonderes
im Himmel aus Lehm
und aufgebrochenen Fundamenten,
Kristallpulver, Glassplitter, Pech.
So schreitet der Dezember voran, so kommt das Christkind.
Gestern hat ein Mädchen seine rechte Hand verloren durch
die Explosion eines Feuerwerkskörpers.
Schüsse, Brände, Religionskriege und
andere Anzeichen von Feiertagen.
ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
Giancarlo Sammito, Italien, lebt in Mailand. Er hat mehrere Gedichtbände und Bücher für Kinder und Jugendliche veröffentlicht. Für diese Altersgruppen hat er auch mehrere klassische und zeitgenössische Autoren übersetzt. Er schreibt die Kolumne „Presente semplice?“ für das Literaturmagazin „Zeta News“ und Beiträge für die Kulturseiten verschiedener italienischer Zeitungen.
Reha Yünlüel, Türkei
Sperrgegenstand (SG)
Der andere,
wie es der Andere sagte
ja der Andere – winzige – das ist ich ist oder
wird ein SG - prinzipiell –
ist oder bleibt - vielleicht -
etwas Schädliches unerwünschtes giftiges verwerfliches ärgerliches
es sei ein Baby ein Alter ein Nächster ein Nachbar
der Andere ist nicht immer ein Sonderling oder immer ein Mensch
er kann Pflanze oder Tier sein Familie Gemeinschaft Truppe
Staat Sippe Volk Klasse Glaube Idee Sprache einfach ein Ding, also
Nach wem oder nach was also Wo aber und wenn
Denn ein SG kann mächtig übermächtig und sogar allmächtig sein
allmächtig im Auftrag
durch welche Rätsel welchen Zauber
mit Löffel geschlucktes Wissen
im Moment an einer Stelle oder einfach die Mehrheit wenn es Wahlurnen gibt
dann können die Ex-Mächtigen in Beziehung auf sie
in Beziehung auf diese Zeit und diesen Ort selber SG werden
Verbote Auswahl Beseitigungen Versklavung
Unterwerfungen Ausschliessungen Gleichmachungen Verschneidungen Sterilisierungen
was für einen armen Anderen der als SG eingeordnet werden könnte durch den Anderen Anderen!
Übersetzung: Marc Chaudeur
Reha Yünlüel Französisch-türkischer Dichter, Fotograf und Übersetzer. Seit 2005 Herausgeber von bachibouzouck.com. Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften sowie Teilnahme an Fotoausstellungen in Istanbul und Straßburg. Regisseur von poetischen Dokumentar- und Kurzfilmen. Mitglied bei PEN, POP (Poets of the Planet) und Unifrance. Gedichtsammlungen: „Katedralden Düşen Kuş“ (Vogel vom Münster fallend) - irtuel Yay. (Istanbul-2000), „Rehaïkus“ - Editions du Petit Véhicule (Nantes-2022) -Anthologie audiovisuelle der lebenden Dichter (2021)
Salem Khafani, Iran-Deutschland
Der Krieg tötet alle
diejenigen, die an die Front ziehen
diejenigen, die zuhause bleiben
und die Welt aus dem Fenster betrachten
der Krieg tötet an der Front
in den Gassen
in den Häusern
innerlich
Der Krieg tötet alle
zerstreut die Opfer
von oben nach unten, wenn die Bomben fallen
von unten nach oben, wenn die Toten auferstehen
und in unserer Erinnerung
hin und her hasten
Der Krieg tötet alle
wenn wir ihn verschweigen
lauern die Opfer im Schatten der verborgenen Worte
schauen uns an
wer in die Stille der Toten eindringt
hört ihre nach Innen gekehrten Schreie
Der Krieg tötet alle
die kriegerischen Wilden die Befehle geben
doch selbst in den Kriegen nicht sterben
sie haben tote Herzen
schleudern den Tod
in alle Richtungen
in die Städte
in die Häuser
in andere Herzen hinein
Salem Khalfani wurde 1963 im Iran geboren und lebt seit 1985 in Deutschland. Nach seinem Studium der Literaturwissenschaft an der Universität Mainz veröffentlichte er 2003 eine Studie über die „Ähnlichkeiten des Absurden” in der europäischen Literatur. Weiterhin publizierte er Romane, zahlreiche literarische Artikel und Kurzgeschichten in iranischer Sprache. Im Sujet-Verlag sind bisher seine Werke „Die ersten Tage der Welt“, „Nachtschwimmer“ und „Das Valencianische Wasser“ erschienen.
Betty Gilmore, USA
Jesus in Palästina
Jesus kehrte ohne Vorwarnung zurück
an einen Ort namens Palästina
wo er in einer Krippe geboren
und verehrt wurde
als menschlich und göttlich.
Er schritt innerhalb der hohen Mauern
die den Blick auf das Meer versperrten
und sah kleine Jungen, die Steine
auf Soldaten mit schweren Gewehren warfen
wie David gegen Goliath
obwohl David selten gewann.
Jesus sah Trümmerhaufen
die nur wenige Tage zuvor
Häuser gewesen waren
in denen Kinder und Familien
gelebt hatten und plötzlich sind sie tot
niedergestreckt von grausamen Bomben
von wahnsinnigen Mӓchtigen geworfen
die nie weinen.
Wieder in Palästina
in diesem heiligen Ort
seiner Geburt
sah Jesus Macht und Hass
die das Leben und die Liebe zerstören
und er stand da
in seinem Schmerz und seiner Verzweiflung
wie es Menschen oft tun
und weinte,
für Palästina
weinte Jesus.
Ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
Betty Gilmore, USA, ist Sängerin, Dichterin, Autorin und lebt in Mailand. Ihre Gedichte sind der afroamerikanischen Kultur verpflichtet. Als Blues-Sänger nahm sie an Tourneen und an einem Konzert zu Ehren von Miriam Makeba im Piccolo Teatro teil. Seit 1995 verbindet sie in ihren Konzerten Musik und Poesie. Sie gehört zum Kollektiv Poetry is My Passion das in Mailand kulturelle Events organisiert.
Arthur Zimmerman, Schweiz
Wirren
Alles auf der Welt nun schwarz gebrochen
oder zusammengerollt wie Samtdecken im einem
vergessenen Dom. Und hinter ältlichen Rosen,
Trauergeschenk, doch noch ein lächelndes
Warten, gleichsam am Rand des Lebens,
wo eben die Schatten noch wärmer sind als
jenes schreiende Licht ständigen Scheidens,
eingewoben in uns wie längst ausgetragene
Mäntel alter Mütter.
Simona Albano, Italien
In diesem weißen Karneval
sind wir Luftschlangen,
hilflos
unfähig zu fliegen.
Das Konfetti, es streikt.
Der Spielplatz, geschlossen.
Der Schokoriegel im Schlamm.
Kindheit, verloren
ins Deutsche übertragen von Antje Stehn
Simona Albano, schreibt im Fanzine „OTIVM“ und arbeitet mit dem Literatursalon Caracci-in Mailand zusammen. Sie veröffentlichte die Kollektionen „Solo poche gocce“ und „Sotto Sale“. 2021 gewann sie mit dem Videogedicht „La fuga nell'ordine“ den ersten Preis in der Sektion Videopoesie der Stadt Sarzana.
Andrea Grieder, Schweiz
Herzton
Die Kamera auf dem Gesicht
Seine Hände im Blut
Ich höre das Herz
schlagen
noch
meines
deines
wie lange noch